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„A g‘sunde Watschn“ im Kindergarten als Entlassungsgrund?

A g'sunde Watschn
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Verfasser: Mag. Georg Wiedmann, 10/25
kanzlei@sup-law.eu



Bereits in der Entscheidung 9 ObA 111/08a hat sich der OGH vor längerer Zeit im Rahmen eines Entlassungsverfahrens mit einem Sachverhalt aus dem pädagogischen Bereich auseinandergesetzt, bei dem einem Kind im laufenden Kindergartenbetrieb von einer Kindergärtnerin (Elementarpädagogin) eine Ohrfeige versetzt wurde.

Das Kind galt bereits zuvor als verhaltensauffällig und wurde aufgrund seiner speziellen Bedürfnisse als „Integrationskind“ eingestuft. Eine in einem öffentlichen Dienst tätige Dienstnehmerin versetzte dem Kind in einer äußerst belastenden Situation, die vom Kind verursacht wurde, eine Ohrfeige. Der Dienstgeber sprach aufgrund dieses Vorfalls unverzüglich die Entlassung aus.

Die Dienstnehmerin sah das anders und erachtete nicht einmal einen Kündigungsgrund als verwirklicht. Sie berief sich in diesem Zusammenhang vor allem auf ein schuldhaftes Verhalten des Kindergartenbetreibers, durch das die schwierige, die Klägerin überfordernde Situation überhaupt erst ermöglicht worden sei, zumal ein besonderer Betreuungsbedarf bestand.

Das Berufungsgericht sowie in weiterer Folge der OGH kamen zu dem Schluss, dass das Verhalten der Dienstnehmerin zwar pädagogisch inakzeptabel, unter den gegebenen Umständen aber nicht als so schwerwiegend einzustufen war, dass es eine sofortige Entlassung rechtfertigen würde.

Der OGH führte in seiner Begründung zwar aus, dass für den Dienstgeber, für die Öffentlichkeit und vor allem für die betroffenen Eltern (und das Kind) gewährleistet sein muss, dass die einen Kindergarten besuchenden Kinder – auch wenn sie verhaltensauffällig sind – selbst in nie völlig vermeidbaren schwierigen Situationen vor Tätlichkeiten der Kindergärtnerinnen, denen ihre Betreuung anvertraut ist, absolut sicher sein müssen. Dennoch erschien dem Gericht eine Entlassung als schwerste arbeitsrechtliche Sanktion nicht gerechtfertigt. In diesem Fall wurde berücksichtigt, dass sich die Kindergärtnerin in einer akut psychisch belastenden Ausnahmesituation befand.

Einen Kündigungsgrund sah der OGH aber als verwirklicht an. Konkret bejaht wurde – weil öffentlicher Dienst – der Kündigungsgrund des § 32 Abs. 2 Z 6 BDG, wonach eine Kündigung ausgesprochen werden kann, wenn der Dienstnehmer ein Verhalten setzt oder gesetzt hat, das nicht geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben aufrechtzuerhalten, sofern eben nicht aufgrund der Gewichtigkeit des Vorfalls eine Entlassung in Frage kommt.

Die Entscheidung des OGH gibt zu denken. Zwar stammt sie aus dem Jahr 2008 und liegt bereits einige Zeit zurück, sie wird jedoch von den Arbeitsgerichten in ihrer Judikaturpraxis weiterhin als Referenz herangezogen und das nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch bei Entlassungsverfahren im privaten Arbeitsrecht.

Gemäß § 27 Z 6 AngG liegt ein Entlassungsgrund unter anderem dann vor, wenn sich ein Angestellter Tätlichkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegenüber dem Dienstgeber, dessen Vertretern oder gegenüber Kollegen zuschulden kommen lässt.

Zu diesem gesetzlichen Entlassungsgrund ist bereits ausjudiziert, dass eine grundlose Ohrfeige gegenüber einem Kollegen – also eine körperliche Aggression ohne Provokation – eine Entlassung rechtfertigt. Ebenso wurde bereits die Bezeichnung eines Kollegen als „Trottel“ als erhebliche Ehrenverletzung und damit als Entlassungsgrund gesehen.

Umso erstaunlicher ist es, dass diese strengen Maßstäbe ausgerechnet im pädagogischen Bereich – wo es um den Schutz von Kindern geht – nicht angewendet wurden. Vergleicht man die Entscheidungen im Detail, wurde damit im Ergebnis auch das Verhalten gegenüber einem Kind mit Verweis auf eine „akute Belastungssituation“ als „menschlicher Ausrutscher“ verharmlost und offenbart dies doch einen eklatanten Wertungswiderspruch.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Steigerungsform für eine Entlassung im pädagogischen Bereich notwendig ist, wenn hierfür eine „Watschn“ als Erziehungsmaßnahme nicht ausreicht.

In Österreich wurden Kinderrechte im Jahr 2011 durch das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte) auf verfassungsrechtlicher Ebene verankert. Diese Verankerung orientiert sich inhaltlich an der UN-Kinderrechtskonvention (KRK), die Österreich bereits 1992 ratifiziert hat. Artikel 1 des BVG-Kinderrechte lautet:

Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.

Gerade der angemessene Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern in herausfordernden Situationen zählt zum Kernbereich pädagogischer Berufe.

Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass die pädagogischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte – die in der Praxis längst etablierte Standards darstellen – auch in der Judikatur zunehmend Berücksichtigung finden. Veraltete Erziehungsmaßnahmen und die Zeiten der „g‘sunden Watschn“ sollten auch im arbeitsrechtlichen Kontext endgültig der Vergangenheit angehören.